„Wach auf“, jemand rüttelte an Eugens Rüssel. „Nun komm
schon“, die Stimme wurde immer energischer, aber Eugen wollte nicht aufwachen.
In seinem Traum saß er in einem riesigen Berg voller Früchte und ließ sich die
Sonne auf den Bauch scheinen. „Eugen, bitte!“ Eugen drehte sich auf die andere
Seite, doch er merkte, dass sein Traum sich langsam aber sicher in viele bunte
Seifenblasen auflöste – Seifenblasenfrüchte. Er gähnte herzhaft, streckte sich
und blinzelte langsam in die Mittagssonne. Zuerst konnte er nichts erkennen,
aber dann schob sich ein massiger, grauer Körper genau vor die Sonne, und er
blickte in die blauen Augen von Sanne. Sie hatte die Vorderfüße in ihre Hüften
gestemmt und schaute ihn streng an. „Steh endlich auf, Du Faulpelz!“ „Was ist
denn los, Sanne?“ Eugen rieb sich die Augen und fand langsam wieder in die reale
Welt zurück. In seinem Bauch grummelte es – Hunger und Ärger, so mutmaßte er.
Wieso weckte seine Freundin ihn, wo sie doch wusste, dass er vor jedem
Mittagessen ein kleines Elefantenschläfchen brauchte? Eigentlich sogar vor
jedem Essen. „Komm mit, ich muss dir etwas zeigen!“ Schon hatte sich Sanne auf
den Absatz umgedreht, sodass ihr langer, grauer Rüssel fröhlich wippte. Kurze
Zeit später war sie im Dickicht verschwunden. Eugen hatte Mühe, hinterher zu
kommen, er war von Natur aus ein eher gemütlicher Elefant. Schon nach ein paar
Metern wollte er pausieren, sein Schnaufen war sicherlich auf der ganzen Welt
zu hören, aber da hörte er Sannes Stimme von Weitem, die ihn ununterbrochen
antrieb. Er rollte mit den Augen, mobilisierte dennoch seine letzten Kräfte und
kam schließlich doch noch bei seiner Freundin auf einer großen, staubigen
Lichtung an. Eugen hörte Menschen miteinander sprechen, verstand aber ihre
Sprache nicht. Einige trugen große Holzbalken, andere sägten oder hämmerten.
Eugen fand es faszinierend, wie Menschen arbeiteten. Ein Mann weckte seine
besondere Aufmerksamkeit. Er sah aus, als wäre er der Anführer des ganzen
Trupps. Das zusammengerollte Papier unter seinem Arm holte er ab und an hervor,
warf einen kritischen Blick darauf, rieb sich mit Daumen und Zeigefinger
nachdenklich über sein Kinn und schob das scheinbar wichtige Dokument wieder
unter seinen Arm zurück. Er war groß, hatte dichtes graues Haar und einen
kräftigen, langen Bart. Was geschah hier nur? „Was machen diese Menschen?“
Eugen kratzte sich mit seinem Rüssel am Kopf. „Ich habe keine Ahnung“,
flüsterte Sanne, „aber der alte Albert hat gesagt, er habe mitbekommen, dass
hier ein Schiff gebaut wird.“ Albert war der älteste und weiseste Elefant in
der Herde. Er behauptete von sich, er würde die Sprache der Menschen verstehen.
Da kein anderer sie verstand, ließ sich diese Behauptung leider weder beweisen
noch widerlegen. Der wichtig aussehende Mann schaute plötzlich in Eugens und
Sannes Richtung, so als habe er gespürt, dass er beobachtet wurde. Ein breites
Lächeln zeigte sich auf seinem sonnengebräunten Gesicht, und er hob seine Hand
zum Gruß – Eugen trötete und winkte mit seinem Rüssel. Sein Instinkt sagte ihm,
dieser Mann war ein guter Mann. „Bist du bescheuert?“ Sanne hatte ihre Augen
weit aufgerissen und stand wie erstarrt neben Eugen. Nach ein paar Sekunden
hatte sie sich jedoch wieder gefasst, drehte sich ohne ein weiteres Wort um und
verschwand im Schweinsgalopp, äh, Entschuldigung, im Elefantengalopp.
Eugen ließ diese Menschengruppe gedanklich nicht los. Er
musste wissen, was auf der Lichtung geschah. Auf Sanne konnte er nicht zählen,
sie hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass sie mit Menschen nichts zu
tun haben wollte. Sie waren nicht immer unbedingt friedlich und vertrauenswürdig.
Das hatte Eugen einige Mal aus der Ferne selbst beobachten können. Aber er
glaubte fest daran, dass es unter ihnen auch solche gab, die ein gutes Herz
hatten. So wie der wichtige Mann.
Eugen kam fortan täglich zur Lichtung, und der Gruß zwischen
dem wichtigen Mann und ihm war schon eine Art Ritual geworden. Jedes Mal wagte
sich Eugen einen Schritt weiter hinaus auf die Lichtung – bis er plötzlich
eines Tages direkt vor dem wichtigen Mann stand. Dieser hatte eine ruhige,
sanfte Stimme und streichelte sanft Eugens Stirn. Vorsichtig, um den Mann nicht
zu erschrecken, senkte Eugen seinen Kopf und hob mit dem Rüssel den Holzbalken
auf, der neben dem ungleichen Paar auf dem Boden lag. Der wichtige Mann guckte
erstaunt, dann zeigte sich wieder sein strahlendes Lächeln, er hob seinen Arm
und deutete in eine Richtung. Zunächst verstand Eugen nicht, was der Mann von
ihm wollte, aber dann dämmerte es ihm so langsam. Dorthin sollte er den Balken
bringen. Man musste also nicht immer dieselbe Sprache sprechen, um sich
verstehen zu können. Eugen wollte helfen. Die Menschen waren gute Baumeister,
reich an Ideen, aber manchmal fehlte es ihnen an Kraft, und da konnte er unterstützen.
Er fühlte sich gebraucht und hatte endlich eine Aufgabe. Sogar sein
Elefantenschläfchen tagsüber hatte er bald ganz vergessen.
„Du hast doch einen riesigen Vogel“, Sanne tippte sich mit
dem Rüssel an die Stirn. „Du hilfst denen jetzt, und zum Dank bekommst Du gar
nix dafür!“ „Mir macht es Spaß“, verteidigte sich Eugen und seine Stimme nahm
einen gereizten Ton an. War anders sein denn so verkehrt? Er hatte ein gutes
Gefühl dabei, er spürte, dass er an etwas wichtigem Anteil hatte und wollte
sich das auch durch Sanne nicht vermiesen lassen. „Ich geh da auch wieder hin –
und zwar jetzt!“ Wütend stampfte Eugen mit seinem rechten Fuß auf den Boden,
sodass einige Erdklumpen hochspritzten. Es hatte zu regnen angefangen, der
Boden war aufgeweicht und rutschig. Sanne merkte, dass sie Eugen verletzt
hatte. „Ich komme mit“, sagte sie leise. „Aber ich schaue nur, ich helfe
nicht“, betonte sie, und wenn sie einen Zeigefinger gehabt hätte, hätte sie den
dabei sicherlich erhoben, um ihren Worten noch mehr Ausdruck zu verleihen.
Als die beiden Elefanten dieses Mal die Lichtung betraten,
war die Stimmung unter den Menschen anders. Sie waren hektisch und arbeiteten
schneller als sonst. Der alte Albert hatte wohl nicht gelogen, was seine
Kenntnisse der menschlichen Sprache anging. Hier wurde tatsächlich ein Schiff
gebaut – und es war nahezu fertig. Es war groß und in Eugens Augen wunderschön.
Er selbst hatte daran mitgewirkt, und das erfüllte ihn mit Stolz. Sanne riss
die Augen auf. „Boah, krass!“ „Sieht super aus, oder?“ Eugen strahlte seine
Freundin an. „Ja, aber das meine ich nicht. Schau mal, da hinten steht Oskar,
der Tiger. Neben ihm seine Frau Sara und vor ihm das Giraffenpärchen Ina und
Felix, und…“ „Du brauchst nicht weiterzusprechen, ich weiß, was Du meinst.“
Eugen staunte nicht schlecht. Hübsch hintereinander aufgereiht standen da alle
Tiere, die er jemals gesehen hatte – immer Frau und Mann nebeneinander. Sie
schienen alle ins Schiff zu wollen. Am Eingang des Schiffes stand der wichtige
Mann mit seiner Papierrolle. Er sah zufrieden aus. Wie schon bei ihrer ersten
Begegnung schien er auch jetzt zu spüren, dass Eugen in der Nähe war. Er schaut
in seine Richtung und lächelte. Ein wenig müde und abgespannter als sonst, aber
er hatte die letzten Wochen auch schwer gearbeitet. Eugen trötete seinen Gruß,
und der Mann winkte. Aber auch das sah anders aus als sonst. Eugen legte den
Kopf schief, um besser sehen zu können. Irgendetwas schien der Mann ihm sagen
zu wollen. In diesem Moment wurde der Regen stärker, und ein kalter Wind ließ
Eugen frösteln. Sanne war ganz still geworden – eher untypisch für seine
Freundin. Der wichtige Mann machte wieder diese Handbewegung, so als würde er
etwas zu sich hinziehen wollen. „Er winkt uns zu sich“, flüsterte Sanne ganz
leise. Eugen musste schon ganz nah an sie ran, damit er sie überhaupt verstehen
konnte. Die ersten Tiere spazierten nun ins Schiff. Sanne bewegte sich unruhig
von einem Fuß auf den anderen. Eugen wagte einen Schritt nach vorn, drehte sich
dann aber noch einmal um. „Sanne, ich weiß nicht, warum, aber ich glaube, wir
müssen dort ins Schiff.“ Eugen musste gegen den Wind antrompeten, damit Sanne
ihn verstand. „Wir tun das Richtige, ich spüre das in meinem Bauch.“ Der Regen
kam nun sintflutartig aus dem Himmel, und endlich löste sich Sanne aus ihrer
Starre. „Alles klar, ich vertraue Dir.“ Das Winken des wichtigen Mannes war
immer wilder geworden, aber als er sah, dass die zwei Elefanten verstanden
hatten, was er von ihnen wollte, lächelte er erleichtert. Zwei von jeder Sorte.
Mit den Elefanten war das letzte, noch fehlende Tierpärchen eingetroffen, das
er auf seiner langen Liste abhakte. Nun konnte die Reise losgehen. Es wurde
auch allerhöchste Eisenbahn, äh, Entschuldigung, allerhöchste Arche. Der Regen
hatte den Boden schon in einen kleinen Bach verwandelt. Bald würde die Sintflut
über die Erde hereinbrechen. Gott wollte ihn, Noah, seine Familie und auch die
Tiere vor dem Ertrinken bewahren. Und hätte der kleine Elefant nicht so eifrig
geholfen, wären sie nicht so schnell fertig geworden.
An Bord der Arche kuschelte sich Sanne in ein gemütliches Bett aus Stroh. Sie war müde. Eugen legte sich neben seine Freundin, seufzte und schloss die Augen. Auch für ihn war es ein langer Tag gewesen – nein, die ganzen Wochen waren anstrengend und ermüdend gewesen. Aber nun würde alles gut werden, das spürte er tief in seinem Herzen. „Du, Eugen?“ Sanne war schon fast eingeschlafen, Eugen hatte Mühe, ihr Nuscheln zu verstehen. „Der Tiger hat seine Frau mit, die Giraffe hat ihren Ehemann dabei. Da passen wir doch gar nicht ins Schema.“ Sie atmete noch einmal tief ein und aus und schlief auf der Stelle ein. „Oh doch“, grinste Eugen und schmiegte sich fest an Sanne.
geschrieben von Julia Eickhoff (KiGo-Team)